Organspende: Neuer Anlauf für Widerspruchslösung stößt auf Beifall – und Kritik (2024)

Fraktionsübergreifende Initiative

Organspende: Neuer Anlauf für Widerspruchslösung stößt auf Beifall – und Kritik

Organspende: Neuer Anlauf für Widerspruchslösung stößt auf Beifall – und Kritik (1)

Ein Organspendeausweis (Symbolbild)

Quelle: Michael Kappeler/dpa

In Umfragen sprechen sich viele Menschen prinzipiell für die Organspende aus. Trotzdem sind die Zahlen der Spender deutlich niedriger als der Bedarf. Eine parteiübergreifende Initiative will einen neuen Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung wagen. Die Reaktionen reichen von klarer Unterstützung bis zu strikter Ablehnung.

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Steven Geyer und Elena Stickelmann

Berlin. Das Thema ist komplex, die Debatte ist heikel, denn bei der Frage der Organspende sind die Abwägungen ethisch schwierig und die Schicksale rühren ans Herz: Es gibt Schilderungen von Hinterbliebenen, die gerade erst vom Unfalltod ihres Angehörigen erfahren haben und nun binnen Minuten entscheiden sollen, ob man ihm, der da friedlich an der Beatmungsmaschine zu schlafen scheint, das Herz oder die Leber entnehmen darf. Ringt man sich dazu durch, bereut es mancher, sobald er den Anblick des vernähten Brustkorbs sieht.

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Eklatanter Mangel an Organen

Doch es gibt eben auch Stimmen wie die der Mutter eines zweijährigen Kindes, das mit Herzfehler geboren wurde und nun schon seit mehr als einem Jahr auf der Warteliste für ein Spenderorgan steht. Die ständige Angst, dass eine Spende zu spät kommt, lasse sie verzweifeln, schreibt die Frau in einem Brief an einen Bundestagsabgeordneten, der etwas gegen den eklatanten Mangel an Organspendern in Deutschland tun will. Sie könne sich nicht vorstellen, dass sich die Zahl der Spender so gering bleibe, wenn sich jeder Deutsche wenigstens einmal im Leben mit der Frage beschäftige.

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So zitiert es am Montag der CSU-Politiker Peter Aumer, an den der Brief ging. Er sollte ihn in seinem neuen Versuch bestärken, die Rechtslage in Deutschland doch umzudrehen: Organspender sollten nicht nur jene werden dürfen, die sich zeitlebens aktiv dafür melden. Zumal von allen Todesfällen im Krankenhaus aus medizinischen Gründen ohnehin nur zwei Prozent für eine Organspende infrage kommen.

Das führt dazu, dass es im vorigen Jahr gerade einmal 965 Menschen gab, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet hatten - im Vergleich zu 8400 schwer kranken Patienten auf den Wartelisten, von denen Tag für Tag drei sterben, weil nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden wird. Auf eine Niere wartet man in Deutschland derzeit runde zehn Jahre. In Frankreich würden doppelt so viele Menschen durch Organspenden gerettet wie in Deutschland, in den USA dreifach so viele.

Alle Erwachsenen wären Spender - bis zum Widerspruch

An diesem Montag stellte deshalb in Berlin eine Gruppe von Abgeordneten aus CSU, CDU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei einen neuen Gesetzentwurf für eine Widerspruchslösung vor. Nach ihrem Modell würden alle Erwachsenen als Spender gelten – es sei denn, man widerspricht.

Die Hinterbliebenen müssten die Entscheidung nach dem Tod ihres Angehörigen nicht mehr treffen, sondern lediglich bezeugen oder überbringen, argumentierte der Grünen-Abgeordnete und habilitierte Mediziner Armin Grau: Ihnen werde die Last genommen, den mutmaßlichen Willen Verstorbener zu interpretieren, die sich vorab nie explizit geäußert hatten.

Ein Anlauf für eine Widerspruchslösung war zwar 2020 - in der vorigen Legislaturperiode - gescheitert, stattdessen wurde ein Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungslösung“ verabschiedet. Es sollte mit mehr Werbung und Aufklärung sowie besseren Strukturen und Vergütungen für die Transplantationszentren für mehr Organspenden sorgen.

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Doch die Zunahme um nur 96 Spender im Vorjahr sei so ernüchternd, dass die Befürworter weitere Unterstützer in noch mehr Parteien suchten und fanden - und nun eine erneute Abstimmung herbeiführen wollen. „Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen“, erklärte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar.

Zu den Unterzeichnern des neuen, leicht veränderten Gesetzentwurfes gehören auch der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbauch (SPD) und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU). „Wir müssen uns ehrlich machen: Ohne dass wir allen zumuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen“, erklärte Lauterbach am Montag.

Scharfe Kritik kam von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung, sagte deren Chef, Eugen Brysch, der Augsburger Allgemeinen. Alles andere sei verfassungswidrig.

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Bei der Vorstellung ihres Gruppenantrags: Petra Sitte (Linke), Peter Aumer (CSU), Christoph Hoffmann (FDP), Armin Grau (CSU), Gitta Connemann (CDU) und Sabine Dittmar (SPD).

Quelle: action press

Doch es meldeten sich auch Unterstützer. „Das Thema Organspende muss mehr Bewusstsein in der Bevölkerung bekommen“, sagte etwa der Unionsfraktionsvize Sepp Müller (CDU) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Deswegen freut es mich, dass wir das Thema nochmal als fraktionsübergreifende Initiative angehen.“ Neben den rechtlichen Änderungen sei darin auch eine „große Aufklärungskampagne“ vorgesehen.

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Die Gruppe strebt eine Entscheidung über ihre Initiative im Bundestag noch in dieser Wahlperiode möglichst bis zum Frühjahr 2025 an, sagte die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. Zu erwarten sei, dass es auch noch einen anderen Antrag geben dürfte. Vorgesehen sind dann eine offene Debatte im Bundestag und Expertenanhörungen.

Krankenhausgesellschaft unterstützt Widerspruchslösung

Die medizinischen Experten sind sich dabei weitgehend einig: Der Mangel an Spenderorganen ist ein unhaltbarer Zustand. „Wichtig ist, dass die Zahl der Organspender in Deutschland spürbar steigt“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem RND. „Mehr Aufklärung darüber, was Organspende eigentlich bedeutet und wie stark sie in Deutschland reguliert und überwacht ist, kann dabei helfen.“ Aus Umfragen sei bekannt, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Organspende grundsätzlich positiv gegenübersteht. „Die Widerspruchslösung kann ebenfalls für mehr gerettete Leben sorgen, da sich die Menschen so aktiv mit der Frage der Organspende auseinandersetzen müssen“, so Gaß.

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Gerald Gass, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V.

Quelle: IMAGO/Political-Moments

Aus Sicht des Bundesverbands der Organtransplantierten (BDO), der auch die wartenden Patienten vertritt, ginge selbst eine Widerspruchslösung nicht weit genug. Das Modell müsse Teil des Gesamtkonzepts sein, sagte BDO-Chefin Sandra Zumpfe dem RND. Daher unterstütze der Verein zwar den erneuten Versuch der Bundestagsabgeordneten, es brauche aber zusätzliche Instrumente: „Eine kontinuierliche Aufklärung, die Unterstützung der Transplantationsbeauftragten und Entnahmekliniken, aber auch eine stärkere Anerkennung und Betreuung der Hinterbliebenen von Organspenderinnen und -spendern.“

Zusätzlich müsse die gesellschaftliche Akzeptanz und das Bewusstsein für die Bedeutung der Organspende gezielt erhöht werden, etwa durch Aufnahme des Themas in den Schulunterricht, forderte der Verein. „Organspende sollte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden und die Aufklärung über das Thema als kontinuierlicher Prozess.“

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Darauf berufen sich auch die Abgeordneten: In Umfragen zeigten sich regelmäßig mehr als 80 Prozent der Deutschen offen, sich als Organspender registrieren zu lassen. Einen aktiven Schritt gingen aber die wenigsten, erklärt Connemann. Wenn es jedoch um die Rettung von Menschenleben gehe, sagt der FDP-Politiker Christoph Hoffmann, dann könne man die Trägheit der Menschen nicht als Grund für den Mangel akzeptieren.

Zwar bevorzuge gerade seine Partei immer Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit gegenüber staatlichen Eingriffen, so der Liberale. Aber die Freiwilligkeit für die Spender bleibe ja, weil jeder jederzeit widersprechen könne. Und ein Recht auf Selbstbestimmtheit hätten auch die Kranken, denen es ohne medizinische Hilfe eingeschränkt werde.

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