Kray-Zwillinge Reggie und Ronnie: Mörder in Maßanzügen (2024)

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Er will jetzt endlich töten. Jener Mann, der sich für den Al Capone von London hält, aber nachts nicht schlafen kann, weil er sich vor der Dunkelheit fürchtet. Der Angst vor Mäusen hat. Der Churchills Kriegsreden hört, um sich aufzuputschen.

Ronald Kray - Gangster, Schläger, psychisches Wrack - sehnt sich nach seinem ersten Mord wie ein Jugendlicher nach dem ersten Sex. Immer wieder redet er davon.

An diesem 9. Mai 1966 soll es geschehen. Der Anlass ist nichtig, das Opfer keine Bedrohung für das Schutzgeldimperium, das Ronald und sein Zwillingsbruder Reginald im Londoner Armenviertel East End aufgebaut haben. Am Ende geht es, typisch für ein erstes Mal, ziemlich schnell.

Gegen 17 Uhr marschiert Kray in einem Pub auf George Cornell zu, den Folterknecht einer verfeindeten Bande, die nach einer Schießerei fast vollständig im Knast sitzt. In Krays Augen muss Cornell dennoch sterben: weil bei der Schießerei auch ein Mitglied der Kray-Gang starb. Und weil er ihn, den bekennenden hom*osexuellen, einmal als "fette Schwuchtel" beschimpft hat.

Der Soundtrack zum Mord

Die Jukebox spielt "The Sun Ain't Gonna Shine Any More". Kray findet das passend, presst Cornell wortlos seine Pistole an die Stirn, drückt ab. Binnen Sekunden ist der Pub leer, der Mörder harrt kurz aus: "Ich fühlte mich verdammt großartig", verriet er 22 Jahre danach in einem Interview im Gefängnis. "Niemals davor oder danach habe ich mich so unglaublich lebendig gefühlt." Millionenmal habe er seitdem an "jede Sekunde des Tötens" gedacht - stets reuelos.

Trotzdem verklären viele Briten die mörderischen Zwillinge "Ronnie" und "Reggie" Kray zu modernen Robin Hoods. Sie kaufen massenhaft Tassen, T-Shirts oder Poster mit ihrem Konterfei. Auf dem Kray-Grabstein prangt in Gold das Wort "Legend".

Ein gleichnamiger Film, der am 7. Januar in den deutschen Kinos startet, dürfte die Heldenverehrung weiter anfachen: Mit pomadisierten Haaren und dicken Zigarren spielt Hollywoodstar Tom Hardy gleich beide - charakterlich sehr unterschiedliche - Brüder.

Den eineiigen Zwillingen hätte das sicher gefallen. Zeitlebens wollten sie so cool sein wie Gangster aus US-Mafiafilmen. Sie trugen schicke, dunkelblaue Anzüge wie ihr Leinwandvorbild Georg Raft. Doch hinter der lässigen Fassade steckten brutale Verbrecher.

Kray-Zwillinge Reggie und Ronnie: Mörder in Maßanzügen (1)

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Die Kray-Zwillinge: "Wir waren unantastbar"

Foto: Central Press/ Getty Images

London in den Kriegs- und Nachkriegsjahren: Mit Gewalt wachsen die Krays auf, sie erleben die Bombenangriffe, spielen in Trümmerwüsten. Und Gewalt verspricht ihnen Respekt. Mit Fahrradketten, Eisenstangen und Messern gehen sie im East End auf andere Halbstarke los. Zu Hause, in der engen Vierzimmerwohnung ohne Bad, versorgt die Mutter ihre Wunden, ohne zu fragen. Nur als die elfjährigen Zwillinge einander bei einem Schaukampf blutig prügeln, wird sie wütend: "Das dürft ihr nie wieder machen!"

Der Zigarettentrick

Die beiden, so heißt es in ihrer aus Interviews zusammengesetzten Biografie "Our Story", halten sich fortan daran. Wer sich mit einem anlegt, bekommt nun "double trouble", wie sie es nennen. Mit 19 sind beide Boxer, Ronnie rücksichtsloser, Reggie talentierter. Nur knapp verpasst er den Titel als britischer Meister.

In der Armee wollen sie unbedingt als Fitnesstrainer arbeiten. Als ihr Vorgesetzter das am Tag der Einberufung ablehnt, gehen sie einfach, doch der Offizier hält sie auf. "Ich schlug ihm hart aufs Kinn", erinnerte sich Ronnie Kray später, "für ein paar Minuten war er im Traumland." Bei diesem Ausraster bleibt es nicht. Die Brüder desertieren mehrfach und sitzen Monate in Haft.

Ihre unehrenhafte Entlassung aus der Armee 1954 ist der Beginn der kriminellen Karrieren. Einen alten Billardsaloon peppen sie zur Bar "Regal" auf, bald der beliebteste Gaunertreffpunkt. Die Krays garantieren für die Sicherheit - und profitieren von ihrem Insiderwissen. Betrügern, Sexfilmproduzenten und Spielhallenbesitzern pressen sie Gewinnbeteiligungen ab. Wer nicht zahlt, bekommt Besuch: Mit links bietet Reggie seinen Opfern eine Zigarette an, mit rechts schlägt er so präzise zu, dass der Kiefer bricht. Das geht bei geöffnetem Mund einfacher, deshalb die Zigarette.

Ronnie verliert oft die Kontrolle, schießt zwei Männern in die Beine, ist vernarrt in Schwerter, Krummsäbel und Wurfmesser. Unter Muttis Dielenbrettern legt er eine gewaltige Waffensammlung an. In Gangsterkreisen wird das Haus in der Vallance Road deshalb "Fort Vallance" genannt, das Kray-Unternehmen "Die Firma". Ob die Zwillinge ihren Feinden Gliedmaßen abhacken oder nur damit kokettieren - alle schweigen, weil es ihnen jeder zutraut.

Flucht aus der Anstalt

Kopf der "Firma" ist der besonnenere Reggie. Für seinen Bruder wird Gewalt bald wichtiger als Geld. Nachdem er einen Unbeteiligten niedergestochen hat und das Opfer trotz Einschüchterungen aussagt, muss er 1956 ins Gefängnis. Dort starrt er stundenlang in den Spiegel, brüllt los. Schließlich landet er, begutachtet als "einfacher Mann mit geringer Intelligenz", in einer geschlossenen Anstalt. Seinen Bettnachbarn hält er für einen Hund und wittert überall Verschwörungen. Ärztliche Diagnose: paranoide Schizophrenie.

Die Geschäfte der "Firma" laufen besser ohne ihn. Trotzdem befreit Reggie ihn in bester Hollywoodmanier: Beim Besuch tauschen die Zwillinge Kleider und Rollen. Ronnie ist frei, aber eine Zeitbombe - ohne sein Beruhigungsmittel fühlt er sich verfolgt. Vollgepumpt mit Pillen findet er einen Psychiater, der ihn als geistig gesund einstuft.

Tatsächlich hält er sich für den wiedergeborenen Hunnenkönig Attila und zettelt Bandenkriege an, um auch das West End zu kontrollieren. Binnen kurzer Zeit vergrault er damit viele Kontakte, die sein Bruder aufgebaut hatte.

Oberflächlich betrachtet geht es den Zwillingen jedoch glänzend. Als bewunderte Nachtclubbesitzer herrschen sie über das East End, das in den Sechzigerjahren als verrucht-schick gilt. Die Krays treffen die Beatles; zu ihren Freunden gehören Stars wie das Sexsymbol Diana Dors und die Schauspielerinnen Judy Garland und Barbara Windsor, mit der Reggie eine Affäre hat. Die Brüder geben Interviews, lassen sich im "Vogue"-Studio vom Starfotografen David Baileys porträtieren und spenden für gute Zwecke. Im Verborgenen verhandeln sie mit der amerikanischen Mafia.

"Wir waren verdammt unantastbar"

Von den "besten Jahren unseres Lebens" schrieb Ronnie Kray später: "Ich und mein Bruder waren die Könige Londons. Wir waren verdammt unantastbar." Er, der Churchill-Bewunderer, beginnt eine Affäre mit Lord Boothby, Churchills einstigem Privatsekretär. Sein Bruder heiratet, obwohl auch er sich eher zu Männern hingezogen fühlt, die vielleicht schönste Frau im Viertel. Die Hochzeit wird das pompöseste Ereignis 1965, wenngleich die Ehe nur Wochen hält.

Ihr Imperium implodiert, als Reggie, inzwischen starker Trinker, die Kontrolle über seinen Bruder verliert. Dessen erster Mord im Mai 1966 verändert das schwierige Verhältnis der Zwillinge: Mörder Ronnie aalt sich nun im noch größeren Respekt. Und drängt Reggie, ebenfalls zu töten.

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Wieder ist der Anlass nichtig. Der drogenabhängige Profikiller Jack McVitie hat einen Auftrag für die Krays vermasselt und ihnen dann im Suff gedroht. Reggie will ihn erschießen, doch seine Pistole versagt. McVitie versucht zu fliehen, wie ein Mittäter später aussagt; Ronnie hält ihn fest. Jemand bringt Reggie ein Küchenmesser, der, angesp*rnt vom Bruder, wie ein Besessener lossticht.

"Es war die wütendste Nacht meines Lebens", sagte er hinterher über den 29. Oktober 1967. Aber anders als Ronnie genießt Reggie den Mord nicht. Ihm ist übel, fortan verfolgen ihn Albträume. Meist aber wahrt er die Machofassade und gibt sich reuelos: "Soldaten müssen ihre Gegner töten."

Wie ein Staatsbegräbnis

Ein halbes Jahr später geschieht das Unerwartete: Ein Scotland-Yard-Ermittler hat sich in den Fall verbissen und einen Kronzeugen aufgetrieben. Im Mai '68 werden die Zwillinge und 15 Komplizen geschnappt, die Zwillinge wegen Mordes zu je 30 Jahren verurteilt. Ihrer "Firma" kann kein anderes Delikt nachgewiesen werden. Vermutlich will auch niemand zu genau hinschauen.

Die größte Strafe ist wohl, dass die Brüder ihre Haftzeit getrennt absitzen müssen. Ronnie landet wieder in einer Psychiatrie, malend und dichtend bis zu seinem Tod 1995.

Noch einmal ist sein Bruder, der fünf Jahre länger leben sollte, für ihn da: Aus der Haft organisiert Reggie Kray für Ronnie ein pompöses Begräbnis, fast 100.000 Schaulustige kommen. Eine Kutsche transportiert den Sarg aus Gold und Mahagoni, 26 Luxuslimousinen folgen - und über die Menge donnert eine alte Spitfire. Wie bei Churchill, Ronnies Idol.

So nimmt London Abschied von einem Mörder, dessen Gehirn zu Forschungszwecken in der Psychiatrie bleibt.

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